Angelika Kopečný: Abschied-vom-Wolkenkuckucksheim

Erscheinungsjahr: Neuauflage 2016
Roman, 176 Seiten
ISBN 3596307589

Abschied vom Wolkenkuckucksheim

Eine Liebesgeschichte

In einem kleinen Dorf in Irland glaubt Alena, den Ort ihrer Träume gefunden zu haben. Corkadoragh ist nicht ländlich beschaulich, sondern steckt voller Überraschungen. Aber das »andere Leben« entpuppt sich als freudlose Plackerei, als stummes Nebeneinander. Weil Alena an ihrem Traum festhält, wird sie zur Außenseiterin.

Leseprobe

Die Heiligen segelten also nach Westen. Gerade, als ihnen Wasser und Brot ausgegangen waren und alle ziemlich lange Gesichter zogen, erblickten sie am Horizont einen schwarzen Felsen. „Nichts wie hin“, sagte Brendan, „vielleicht sind wir bald da.“ Als sie näher kamen, trauten sie ihren Augen nicht. Auf dem Felsen lag Judas Ischariot und sonnte sich. Er schlief. Sie weckten ihn und fragten ihn nach der nächsten Quelle. „Eine Insel weiter“, gab Judas gähnend zur Antwort. Er kühlte sein Gesicht im Westwind, es war noch ganz rot vom Höllenfeuer. Brendan erkundigte sich höflich, was für eine Strafe der bedauernswerte Mann denn aufgebrummt bekommen habe, denn ihm tat jede Kreatur leid. „Huch“, Judas verzog angewidert das Gesicht. „Es ist schrecklich. Morgens muss ich auf Nagelbrettern laufen. Danach werde ich durch den Fleischwolf gedreht. Hinterher, gegen Lunchzeit, kommt der Teufel und piekt mich mit Gabeln und glühenden Zangen. Nachmittags hänge ich eine Stunde mit dem Kopf nach unten über einer Grube mit Schlangen und Krokodilen, die nach meinen Armen und Haaren schnappen. Später werde ich auf einen glühenden Rost gesetzt, und abends komme ich in eine Folterkammer. Da bleibe ich, bis ich vor Müdigkeit umfalle, ich muss Silberlinge zählen, immer in Häufchen zu dreißig. Dreißig Silberlinge“, knurrte er plötzlich zornig. „Die Pharisäer haben mich wirklich reingelegt, hätte doch mehr verlangen sollen.“ „Ja, bereust du denn nicht?“ fragte Brendan erstaunt.
„Natürlich, selbstverständlich, ich habe nichts gesagt“, verbesserte Judas sich schnell.
„Und wie kommst du hierher?“
„Heute ist Karfreitag, da habe ich Ausgang bekommen, auf Bewährung“, erklärte Judas. „Wegen guter Führung darf ich mich hier auf dem Felsen ein bißchen abkühlen, nachher muss ich wieder in den Fleischwolf.“
Brendan bedauerte den abtrünnigen Jünger von Herzen. Er bot ihm einen Platz auf seiner morschen Schaluppe an, aber Judas winkte müde ab. „Hat keinen Zweck, wegzulaufen, die finden mich doch überall“, sagte er resigniert.