Verkaufspreis: 14,90 €
Erscheinungsjahr: 2011
Roman, 288 Seiten
ISBN 978-3-00-033937-0
Auf der Suche nach dem Ultramarin
Die Autorin schreckt aus dem Schlaf hoch und schaut in den Laderaum eines Frachters, wo sie einen Blinden Passagier entdeckt, ein junges Mädchen in Männerkleidung. Neugierig geworden macht sich die Autorin auf die Suche, um das Rätsel dieses Bildes zu lösen. Auf ihrer Schreibreise über das Schwarze Meer, durch Georgien, Tschetschenien, Kasachstan und Afghanistan gelangt sie bis zu einer Insel im Pazifischen Ozean. Dabei begegnet sie vier Menschen, die sich auf unglaubliche Irrfahrten über Land und Meer begeben haben, getragen von der Hoffnung, inneren und äußeren Frieden zu finden:
Ein junges Mädchen flieht vor den Taliban aus Afghanistan und verteidigt seine neuerworbene Freiheit mit allen Mitteln.
Ein Taliban, der in fanatischem Eifer alles Schöne zerstört, erlebt beim Übermalen eines Bildes den Schock seines Lebens.
Ein todkranker Arzt, der in Georgien nach seinen Wurzeln sucht, findet im Schmerz seine Heimat.
Ein polynesischer Kapitän, der seine ›strahlende‹ Zukunft schon hinter sich hat, wird durch einen Blinden Passagier in die Gegenwart zurückgebracht.
Indem sie ihnen folgt, löst sich das Rätsel von selbst – auf eine für die Autorin und sicher auch die Leser überraschende Art und Weise.
» … Kopečný verrät, wie sie als Schriftstellerin Welten erschafft, wie sie ›schreibend die Menschen in ihren Geschichten umkreist‹ und sich selbst unter Druck setzt, den fiktiven Charakteren gerecht zu werden. Erstaunlich ehrliche Worte.« Bewertung: 4/5 Sterne
Münchner Merkur, 2.05.11, S. 17
Leseprobe
Seine Hand fühlte sich immer noch warm an, sie pochte, als hätte er ihren Pulsschlag in sich aufgenommen. Vielleicht wollte sie nichts anderes als eine menschliche Geste von ihm, das konnte sie haben. Warum sollte er sie auf dem Bett ausbreiten und ihren Stolz brechen oder sich davonschleichen, ein Feigling war er nicht, und so setzte er sich auf den Sessel ihr gegenüber und sah sie an. Das kleine Ohr, hinter dem eine lange Locke steckte, den schmalen Hals, die kräftigen Schultern. Sie war nicht jung, nicht alt, irgendwie unbestimmbar, sie schwieg. Unter ihrem Blick wurde sein Mund trocken, er musste jetzt etwas sagen, er musste sich erklären, egal, ob sie ihn verstand oder nicht.
»Sei mir nicht böse«, sagte er, »aber ich möchte über das Einzige sprechen, wofür ich etwas fühle. Sie ist zu Hause auf dem Meer, im Hafen, meine ich«, verbesserte er sich.
»Sie ist genauso alt wie ich, ich liebe sie wie eine Frau, obwohl sie schon so oft den Namen und auch das Geschlecht gewechselt hat. Albatros, Pacific Star, St. Elias, Arafura Lily, Kapitan Tombuk, sie ließ es gleichmütig über sich ergehen, ob sie Afrikanerin, Asiatin oder Latina war. Ihre Heimatländer sind um den ganzen Globus verteilt. Malta, Liberia, Honduras, Belize, Kambodscha, Tonga und Sao Tomé. Als die ›Eftychia‹ noch jung war, trug sie eine blaue Haut. Die Aufbauten waren blendend weiß. Eine stolze Genoveva mit Heimathafen Genua. Aber Schiffe altern schneller als Menschen. Das Meersalz, Stürme, Regen und natürlich der Rost. Du hast sie eben frisch vom Heck bis zum Bug gestrichen, da fängt sie am Heck schon wieder an zu rosten. Ihr Herz, die Maschinen, ist nicht mehr das beste. Eigentlich ist sie ein alter, abgetakelter Frachter, eine hässliche Nutte. Aber sie hatte früher eine schöne Pussy, und das merkt man ihr noch heute an. Sie ist besser als diese glatten, neuen Containerschiffe, die den Bauch voller Stahlkisten haben und wie Roboter auf das Kommando von Computern hören. Nein, sie ist ein Lebewesen, sie atmet, sie kämpft, sie leidet. Ich wollte sie dem Reeder abkaufen, aber kennst du einen Seemann, der sein Geld festhalten kann? Es ist nur Ballast, den wir abwerfen für Alkohol, Drogen und Frauen, damit wir uns wie Menschen fühlen. Sie ist mir nicht böse deswegen. Aber weißt du, wovor ich mich fürchte? Dass sie würdelos stirbt, abgewrackt in einem stinkenden Hafenloch …«
»Gib mir deine Hände«, sagte die Frau in einem altertümlich klingenden Englisch, als hätte sie es aus einem uralten Buch gelernt, »ich werde dir deine Zukunft lesen, wenn du schon kein Wort über die Lippen bekommst.«
Sie sah ihm jetzt voll ins Gesicht, sodass er auf seine Knie schauen musste, peinlich berührt von dieser Direktheit, vielleicht hatte sie erraten, was er über sein Schiff hätte sagen mögen.