Angelika Kopečný: Geisterstädte

Verkaufspreis: 10.- €
Erscheinungsjahr: 2025
Roman, 312 Seiten
ISBN 978-3-00- 079916-7

ab 1.11.2025 bestell- und lieferbar

Geisterstadt Stories

Geisterstädte üben eine merkwürdige Faszination auf uns aus, denn sie wirken wie Geister, tot und lebendig zugleich. Ihre Bewohner mussten sie aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen, aber die Ruinen, Gärten, Wege und Plätze zeigen die Spuren derer, die dort gelebt haben, als sei ihr Geist noch gegenwärtig.
Aus der Vielzahl der verlassenen Orte habe ich einige wenige ausgewählt, deren Schicksal mich besonders berührt hat. Dazu gehören Kolmannskuppe im heutigen Namibia, Chinguetti in Mauretanien, die verbotene „Zone“ rings um Tschernobyl, Varosha auf Zypern, Aghdam in Bergkarabach und zuletzt die 137 dem Braunkohletagebau geopferten Dörfer in der Lausitz.
Geisterstädte, wo auch immer sie auf der Welt zu finden sind, erzählen viele Geschichten. Man muss ihnen nur zuhören.

Leseprobe

Von hinten sah Varosha nicht wie eine Geisterstadt aus. Wären da nicht die Schilder gewesen, die in vier Sprachen, unter anderem auch auf Englisch, mit Erschießen gedroht hätten, würde man keinen Blick an die dürren Baumgipfel und rutschenden Ziegeldächer verschwenden. Ein verlassenes Dorf. Nichts weiter. An manchen Stellen hatte der Maschendraht Löcher, groß genug, um einen Menschen hindurchschlüpfen zu lassen, an anderen Stellen waren blaue Plastikfässer übereinandergestapelt, darüber lässig gespannter Stacheldraht. Berna bremste unversehens, stieg vom Rad und stellte es an einem Gartenzaun ab. Sie verschwendete nicht ein einziges Wort an Peri. Übelgelaunt stellte er sein Rad neben ihrem ab und trottete ihr hinterher. Sie ging ein ganzes Stück zu Fuß weiter, als wollte sie keine Aufmerksamkeit erregen, und hielt an einem von Ranken überwucherten Tor, das sie mit einem altertümlich aussehenden Schlüssel öffnete. Peri rechnete jeden Augenblick damit, dass sich eine Gewehrmündung auf ihn richtete oder der Alarm losging, doch nichts dergleichen geschah. Es schien das Normalste von der Welt zu sein, die Geisterstadt am helllichten Tag durch ein Gartentor zu betreten, anstatt nachts unter dem Stacheldraht hindurchzukriechen, und es gab auch nichts Besonderes zu sehen. Verwilderte Gärten, Pfade, die durch mit Gestrüpp überwucherten Beeten führten, eine Rosenhecke über einem zusammengebrochenen Pavillon, Gras, das Peri bis zum Bauch reichte, Bäume, die in der Trockenheit alle Blätter verloren hatten. Die Sonne brannte unbarmherzig auf Peris geschwollene Mückenstiche, und plötzlich erschien ihm das ganze Getue um die Geisterstadt und ihre Gefahren an den Haaren herbeigezogen, wenn er mit Hilfe einer maulfaulen Türkin einfach darin herumspazieren konnte. Die Reihe der Betonskelette am Meer wirkte wie eine Kulisse für einen Weltuntergangsfilm – und genauso abgefahren.